Vorwärts! Seit‘ an Seit‘ marschieren – das waren noch Zeiten, in denen Politiker so die Welt verändern wollten. In diesen Tagen, in denen der Wählerwille von Sondierung zu Sondierung verschleppt wird, gilt es gelinde gesagt offenkundig als kühner, lieber nicht für etwas gerade zu stehen als schlecht auszusehen. Man rühmt sich geradezu der selbstverschuldeten Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, scheut aber gleichzeitig die Konsequenz, sich dann für eine Zeit ganz zurückzuziehen: Wer weiß schon, ob das mit der Auferstehung von den Toten heute noch funktioniert. Ja, was glauben Sie denn?
Das politische Geschwurbel erinnert fatal an Jona – jenen kleinen Propheten des Alten Testamentes, den unerbeten der Ruf Gottes ereilt, er möge der Stadt Ninive eine ordentliche Bußpredigt halten, weil es dort einfach nicht so weitergehen kann, wie bisher. Jona hört die Botschaft wohl; die Verantwortung ist ihm allerdings nicht recht. Und so macht er sich aus dem Staub, weit, weit weg über das Meer.
Sein Auftrag aber klebt an ihm wie Pech. Er wird von sich selbst eingeholt, geht über Bord und findet sich im dunklen Innern von etwas wieder, das ihm Ungeheuer ist. Er lernt, dass es besser gewesen wäre, ein schlechter Prophet zu sein, als gar kein Prophet sein. Aus der selbstverschuldeten Unfähigkeit zu handeln zurück ins Leben gespuckt, begibt er sich nach Ninive. Es heißt, es brauche drei Tage, um die Stadt zu durchqueren. Jona geht gerade mal einen Tag in die Stadt hinein und ruft zur Umkehr, nur ein wenig, um der Form Genüge zu tun. Aber schon das reicht, um den Dingen einen neuen Lauf zu geben. Nichts bleibt mehr, wie es war.
Jona aber liegt oberhalb der Stadt und wartet auf das göttliche Spektakel. Es bleibt aus, denn die Stadt hat sich ja verändert. Es gibt keinen Grund zur Schadenfreude über das Scheitern der anderen, denn die Niniveniten haben Verantwortung übernommen. Jona aber jammert, denn der Busch, der ihm Schatten gab, wurde von einem Würmchen angenagt und verdorrte. Er beklagt sein eigenes, kleines Schicksal. Er, der den Dingen eine Wende gab, hätte doch so gern das Scheitern derer erlebt, zu denen er geschickt war.
Das Jona-Syndrom hat auch manche Verantwortliche in den Parteien befallen. Image first, Verantwortung second – heißt die Devise. Besser, unterm Busch liegen und auf das Scheitern der anderen zu warten, als daran zu arbeiten, dass sich etwas ändert. Besser darüber jammern, dass es weiter wie bisher geht, als die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Und statt den Auftrag der Wählerinnen und Wähler ernstzunehmen, delegiert man die Verantwortung an Parteitagsdelegierte und die Basis. Das hört sich wunderbar demokratisch an, kommt aber dem biblischen Sündenfall sehr nahe, bei dem niemand die Verantwortung übernehmen will, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse gegessen zu haben.
Kinder! – möchte man da rufen. Werdet erwachsen! Was waren das noch für Zeiten, als Brandt und Wehner, Schmidt und Genscher, Kohl und Strauß rangen, stritten, Geschichte machten. Auf jetzt, Vorwärts! Und zwar Seit‘ an Seit‘. Das Volk hat schließlich gewählt!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der WZ Wuppertal vom 26. Januar 2018
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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